Monate: September 2016

Literaturstadt Oslo – Lesereise Teil 1

Diese Stadt ist voller Literatur! Und ich habe nur 28 Tage Zeit, sie zu lesen… Zum Glück macht Oslo es mir leicht, mich durch die Straßen zu blättern. Das sonnige Herbstwetter legt mir die Stadt regelrecht zu Füßen und ich entdecke, oft unverhofft, hinter jede Ecke neue Lesensqualität. Seit genau einer Wochte trage ich nun schon meine Fundstücke wie große blanke Kastanien nach Hause und zeige Euch heute die ersten Sieben.

1.
Ibsen Sitat – Kunstwerk auf der Karl Johans gate

oslo-ibsen-sitat

Ob es ihm Recht gewesen wäre, dass wir achtlos auf seinen Gedanken rumtrampeln? Henrik Ibsen flanierte selbst täglich die Karl Johans gate längs; jetzt zieren 69 Zitate die Fußwege auf beiden Seiten. Alle Norweger/innen konnten sich an der Zitatauswahl beteiligen, mitgemacht haben namhafte Persönlichkeiten und auch ganze Schuklassen. Für die 4.011 Buchstaben wurde übrigens eigens eine Schrifttype entwickelt, der Oslofont. (Quelle)

2.
Öffentliche Bücherregale im Schlosspark

oslo-bokbytteskapet-slottsparken

Leider nicht von Dauer, diese kleinen öffentlichen Bücherschränke, die an verschiedenen Bäumen im Osloer Schlosspark hängen und die zur Jubiläumsaktion des Königshauses gehören. In diesen Tagen sollen die Kästen wieder abgehängt werden. Erst vor ein paar Wochen hatte die Kronprinzessin Mette-Marit ein Foto getwittert, auf dem ihre Schwiegermutter zu sehen ist, wie sie ein Buch in eines dieser bokbytteskap stellt. Ich hab die beiden auf meinem Spaziergang leider nicht getroffen.

3.
Dikt underveis – Poems on the Underground

oslo-dikt-underveis

Du verstehst nicht
wie weit es bis Ullern ist
bist du jemanden dort liebst

wie breit
ein Früstückstisch sein kann
eine halbe Matratze
wie
verblüffend beschwerlich
ein einziger Millimeter

Wir
haben keinen Platz
für Abstand
zwischen uns

 *

Dieses Gedicht von Cecilie Cottis Østreng ist eines von 24, die in diesem Jahr in den Osloer T-Bane-Stationen präsentiert werden. Jahr für Jahr wechselnd seit 1995 in den Osloer T-Bane-Stationen präsentiert werden. In London begann diese Kunstaktion „Poems on the Underground“ bereits 1986, also vor genau 30 Jahren! Seit 1995 ist Oslo mit den „Dikt underveis“ dabei, auch Athen, New York, Paris und Prag machen mit.

4.
UGLO – die neue Bücherbar des Verlags Aschehoug

Ugla - den nye bokbaren av Aschehoug forlaget

Ich wär nicht auf die Idee gekommen, dass ein Verlag ein Händchen für eine Bar haben könnte! Bis ich zufällig auf meinem Heimweg in der Kristians August gate an UGLA vorbeikam. Eine Bar voller Bücher, und dabei so wenig piefige Bibliothek wie nur irgendwas! Erst Ende August 2016 hat der Aschehoug Verlag die bokbar UGLA eröffnet, ich kann also mit Fug und Recht sagen, sie für Euch entdeckt zu haben. 😉 Wie es sich für eine Frau von Welt gehört, hab ich dann natürlich versucht, mir einen Latte Macchiato zu bestellen. Lächelnde Antwort der camue-esken Kellnerin: nur Bohnenkaffee. Oh, wie erfrischend. Ich sah mich um und stellte fest, dass alle, aber auch wirklich alle Gäste ein Papierbuch vor der Nase hatten. Ob das Verlagsmitarbeiter/innen waren? Dafür waren sie eigentlich zu jung. Genau, verdammt jung waren sie, die UGLU-Gäste, aber sie haben mich als Ihresgleichen behandelt – schließlich las auch ich ein „echtes“ Buch und trank Bohnenkaffee.

5.
Hønse-Lovisas hus am Akerselva

oslo-honse-lovisas-hus

Wenn ich nur einen einzigen Ort benennen dürfte, an den es mich wirklich jedes Mal wieder hinzieht, wenn ich in Oslo bin, dann ist es das kleine Kulturkafè ved Akerselva: Hønse-Lovisas hus. Direkt am Wasserfall zu sitzen und mit diesen gewaltigen Naturgeräuschen die Stadt für eine Weile auszusperren, ist so erfrischend! Und es gibt waffler med fløde og syltetøy. Und „påfull“ (Kaffee, viel man möchte, für nur einmal bezahlen – typisch norwegisch!). Hier habe ich in dieser Woche immer wieder im Roman „Elskere“ des Osloer Schriftstellers Mattis Øybø gelesen.

6.
Telemuseum testet Telefonzelle als öffentliches Bücherregal

oslo-bokbyttekiosk

An der Haltestelle Kjelsås steht eine dieser hübschen roten Telefonzellen, eine von rund 100, die in Norwegen noch in Betrieb sind. Über 6.000 gab es davon in den 80er Jahren. Jetzt testet das Telemuseum, wie die wenigen Übriggebiebenen in Zukunft sinnvoll genutzt werden können. Seit dem 1. September 2016 wird dieses Telefonhäuschen als öffentlicher Bücherschrank genutzt. Es gibt außerdem freies W-Lan – und das Ding spielt sogar ein Liedchen ab, wenn man eintritt und es twittert: @kjelsaskiosken. Als ich mit zwei Büchern unterm Arm wieder rauskam, ging ein Vater mit seinen zwei kleinen Söhnen vorbei und blieb neugierig stehen. Ich ging ein paar Schritte und drehte mich umn, aks ich den einen Kleinen jubeln höre: Sein Vater hatte einen Harry-Potter-Band für ihn entdeckt. Ich hätte gern ein Foto davon gemacht, aber ich bin, was Straßenfotografie angeht, immernoch ein bisschen schüchtern (bzw. halte mich gern an die Regeln und die Persönlichkeitsrechte meiner Mitmenschen).

7.
Schous Bøker – Antiquariat

oslo-schous-boker

… als letztes Fundstück aus dieser Woche: noch eine Neueröffnung, und wieder mit „echten“, also gedruckten Büchern! Das Menschen sich das als Geschäftsidee überhaupt noch einfallen lassen… Erst seit wenigen Monaten gibt es am Schous Plass in Grünerløkka (und damit nicht einmal 100 Meter (!) von meinem Schlafzimmer entfernt) dieses kleine, aber feine Antiquariat SCHOUS BØKER. Ich hab gleich mal nach Büchern von Regine Normann gefragt und bin auf einen engagierten Buchhändler gestoßen, der versucht, innerhalb der nächsten drei Wochen die eine oder andere Ausgabe für mich aufzutreiben…

*

Nächsten Freitag gibt es die nächsten literarischen Fundstücke meiner Lesereise durch Oslo. Ha det bra!

Anmeldelse: Elskere av Mattis Øybø

Sorg uten bunn

En gang sa jeg til en mann at hvis jeg måtte velge, ville jeg heller bli hans elskerinne enn hans betratte kone. Etter å ha lest to tredjedeler av den nye romanen „Elskere“ av Mattis Øybø (Forlaget Oktober, 2016) husket jeg igjen hvorfor jeg bestemte meg sånn for dette…

mattis-oybo-elskere-oktober-forlaget
Å lese den nye romanen „Elskere“ av Mattis Øybø gjorde meg andpusten. – kilde: forlaget Oktober

Det er bare en tilfeldighet at hovedpersons elskerinne dør i en bilulykke på 22. juli 2011, dagen av terrorangrepet i Oslo og på Utøya. Angrepet og Annas død har ingenting å gjøre med hverandre – ingenting mer enn datoen, men akkurat det er poenget: Mikkel får det forferdelig vondt av den alt dominerende offentlige sorgen over de døde av terrorangrepet mens han selv må skjule sin egen sorg om sin elskerinne. Etter min mening trenger Mattis Øybø egentlig ikke terrorangrepet for å illustrere den uutholdelige situasjonen der hovedpersonen befinner seg i. Kanskje bryter forfatteren et tabu ved å bruke nasjonens trauma nesten „bare“ som rammefortelling for en kjærlighetshistorie. Men jeg venter med spenning på de første anmeldelsene av norske bokbloggere. Kanskje jeg som tysk er litt for langt utenfor til å forstå hele betydningen.

For en kjærlighetsroman av vår tid! En roman om all slags kjærlighet: som ektemann, som far til hans sin sytten år gamle sønn og sin tre måneder gamle datter, som sønn til hans gamle mor – og som elsker. Alle typer kjærlighet har sin plass, alle er på en måte vevd og knyttet sammen sammenvokst slik at når det mangler én, alle har det vondt. blir alle vondt. Mattis Øybø beskriver med mye finfølelse og humor et følelseliv av en moderne mann, små hendelser, daglige dialoger og hemmelige tankeleker – og hvordan alt kommer ut av kontroll. Samlivet (eller enda mer: samfunnet) er et korthus og døden tar rett og slett noen kort. (Og naturligvis fordyper terrorangrepet dette temaet.)

oslo-ibsen-sitatTo timer hver fjerde fredag i tretten år, omregnet omtrent to uker levd liv med hverandre. Annas regler. Hva betyr dette for Mikkels rett til å sørge? Døden virker så tragisk fordi det ikke bare betyr døden av levd liv men også døden av mulighetene for mer eller for å leve anderledes med hverandre. Sorgen til Mikkel synes å være uten bunn. Og så bryter han tabuet fordi å blir utenfor livet hennes, det får han ikke til. Han går i begravelsen, han dukker opp foran huset hennes og kommer for å snakke med datteren hennes… Anna hadde forsøkt å kontrollere livet med strenge regler men ingen kan kontrollere døden og hva som skjer etterpå med de pårørende. Etter å ha lest halvparten av romanen tenker leseren å vite hva som må komme i løpet av den siste delen. Og da jeg vet hva det kan bety fordi jeg har opplevd (og overlevd) dette selv, som betratt kone, da var jeg nesten andpusten mens jeg leste resten av boka.

Mattis Øybø - kilde: forlaget Oktober
Mattis Øybø – kilde: forlaget Oktober

Men fordi Mattis Øybø er en stor forfatter har han funnet en annen vei ut for hovedpersonen sin enn å omskreve det som kjærlighetshistorien av Mikkels kone og Annas enkemann som i et mareritt. Derimot eller derfor er det på en måte smertefullt å lese denne romanen, men jeg ønsker ikke å gå glipp av en eneste linje. Sidene er fulle av mat for tankene om våre verdier og vårt ansvar for våre handlinger. Øybø viser at der fins det en sjanse for en forsoning med slutten på mulighetene i livet, med det som ikke kan kontrolleres, med livet man har valgt.

Jeg håper virkelig at noen oversetter denne romanen til tysk – som ville være den første oversettelsen av en Øybø-roman. Men nå sier jeg først og fremst:

Du må lese „Elskere“.
Det fordyper ditt liv.

 

#litteraturnorge 2017 – norwegische Literatur live erleben

So viele spannende Veranstaltungen rund um norwegische Literatur stehen im nächsten Jahr auf meiner Reisewunschliste. Hier gebe ich einen Überblick über meine bisherigen Recherchen (letztes Update: 12.09.2016):

BookCrossing Convention Oslo

bookcrossing-logo2_side_1Wann: 21.-23. April 2017
Wo: Oslo

Was: Einmal im Jahr – an einem Wochenende im April – kommen BookCrosser aus der ganzen Welt zusammen – welch schöner Zufall, dass dieses Treffen nächstes Jahr ausgerechnet in Oslo stattfindet!

Eine großartige Gelegenheit für mich, endlich einmal andere kennen zu lernen, die ihre Bücher über die Plattform bookcrossing.com tauschen oder auf diese Weise ihre Bücher an öffentlichen Orten in die freie Wildbahn entlassen, um gebannt darauf zu warten, von der Finderin eine Nachricht zu bekommen und online nachzuverfolgen, wohin das Buch reist.

Es gibt viele spannende Aktionen bei einer solchen Convention, vom Büchertisch mit hunderten von Büchern zum Mitnehmen bis hin zu Autorenlesungen. Und da vor allem norwegische BookCrosser da sein werden und norwegische Autorenlesungen stattfinden, läuft das Ganze für mich unter #litteraturnorge 2017.

Website: bcoslo.wordpress.com

Norsk litteraturfestival, Sigrid Undset-dagene

litteraturfestivalWann: 30. Mai – 4. Juni 2017
Wo: Lillehammer

Was: Seit 1995 in Lillehammer – mit Lesungen, Diskussionsrunden, Ehrungen, Wettbewerben – Events jeglicher Art rund um norwegische und internationale Literatur!  Das größte Literaturfestival des Nordens, bei dem ich im nächsten Jahr wirklich gern dabei wäre, zumal ich Lillehammer noch nicht kenne!

Website: litteraturfestival.no

Reginadagan

reginedaganWann: 28.-30. Juli (voraussichtlich, Termin steht noch nicht fest)
Wo: Bø (Vesterålen)

Was: Zu Ehren der norwegischen Schriftstellerin Regine Normann (1867-1939), die in Bø geboren ist und sich Vesterålen immer sehr verbunden fühlte, finden diese Reginetage statt. Im Mittelpunkt stehen ihre Märchen und Sagen, mit denen sie in Norwegen sehr bekannt ist – sie gilt als H.-C. Andersen Norwegens, ihre Märchen sind Unterrichtsstoff in der norwegischen Grundschule.

Mich fasziniert insbesondere ihr Frühwerk – Romane mit sozialkritischem Unterton – sowie das bewegte Leben der Autorin, der es als erste Frau aus Nordnorwegen gelang, schriftstellerische Erfolge von nationaler Bedeutung zu feiern. (Mehr Infos gibt es auf der Website der Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Liv Helene Willumsen, die intensiv zu Regine Normann geforscht hat.)

Fester Programmpunkt der Reginadagan sind Wanderungen zur und Lesungen in der Sinahula, einer Höhle in der Nähe von Eidet (Vesterålen), in der Regine Normann in den Jahren ihrer ersten Ehe heimlich geschrieben und ihre Werke vor ihrem Ehemann versteckt hat.

Website: reginedagan.no

Bokbloggerprisen

bjornsonfestivalen-logoWann: ein Wochenende ca. Mitte September (Termin steht noch nicht fest)
Wo: Oslo

Was: Gerade wurde in Norwegen der Buchbloggerpreis 2015 vergeben, schon in wenigen Monaten, ab 1. Januar 2017, geht es in die nächste Runde – und ich will versuchen, mich bis dahin als Buchbloggerin zur aktiven Teilnahme an den Nominierungen und Abstimmungen zu qualifizieren.

Der Bokbloggerprisen ist in Norwegen sehr anerkannt und erfährt auch in den klassischen Medien und seitens der etablierten Verlage große Aufmerksamkeit.

Zusammen mit der preisverleihung findet nämlich auch das jährliche Buchbloggertreffen statt, bei dem ich gern dabei wäre. Zurzeit stelle ich übrigens eine Blogroll meiner liebsten norwegischen Buchblogger/innen zusammen, die ich Euch in Kürze vorstellen kann.

Website: norskebokbloggere.wordpress.com

Göteborg Buchmesse

Wann: Wochenende Ende September (Termin steht noch nicht fest)
Wo: Göteborg (Schweden)

Was: Seit 1985 findet die jährliche Buchmesse in Göteborg statt – mit mittlerweile über 800 Ausstellern und 100.000 Besucher/innen. Warum ich überhaupt auf diese Messe aufmerksam wurde? Weil ich versuchte, in diesem Jahr zu dem Termin ein Hotelzimmer in Göteborg zu buchen und mich wunderte, warum ganz Göteborg ausgebucht ist… Dieses Jahr reise ich also nicht über Göteborg nach Olso, dafür plane ich fürs nächste Jahr einen Messebesuch ein und buche rechtzeitig!

Website: bokmassan.se

Ordkalotten

ordkalotten_logoWann: Eine Woche im September oder Oktober (Termin steht noch nicht fest)
Wo: Tromsø

Was: Seit dem Jahr 2000 findet im September oder Oktober das Ordkalotten – Tromsø internasjonale litteraturfestival statt. Ein besonderes Augenmerk legt das Festival auf die Dreisprachischgeit des Nordens (norwegisch, samisch und kvenisch) und bezieht auch die Nachbarländer Schweden, Finnland, Russland, Island und Kanada mit ein.

In diesem Jahr verpasse ich das Literaturfestival leider knapp, weil ich bis Ende Oktober in Oslo weile und erst im November wieder nach Tromsø reise – aber nächstes Jahr bin ich dabei!

Website: ordkalotten.wordpress.com/

Nordische Literaturtage

nordische-literaturtage-logoWann: ein Wochenende Ende November (Termin steht noch nicht fest)
Wo: Hamburg

Was: Alle zwei Jahre wird im Hamburger Literaturhaus dänisch, finnisch, isländisch, norwegisch und schwedisch gesprochen. Seit 1986 gibt es die Nordischen Literaturtage in Hamburg, im nächsten Jahr bereits zum 16. Mal. Im Mittelpunkt steht ausgewählte Gegenwartsliteratur aus dem Norden, eingeladen werden Schriftsteller/innen aus allen fünf skandinavischen Ländern. Das Festival findet in Kooperation mit den Konsulaten der nordischen Länder und der Kulturbehörde Hamurg statt.

Website: literaturhaus-hamburg.de/content/nordische-literaturtage

*

Ein Überblick über alle Literaturfestivals in Norwegen findet sich auf litteraturfestival.no/en/the-festival/norwegian-literature-festivals

Welche Veranstaltungen rund um Literatur aus Norwegen könnt Ihr mir persönlich empfehlen? Ich freue mich auf einen Hinweis per Kommentar!

Wortlos | Novelle (Elin Åsbakk Lind)

Elin Åsbakk Lindordlos-novelle-bilde-2
Original-Titel: Ordløs, veröffentlicht 2014

Aus dem Norwegischen übersetzt von Dörte Giebel

x

Wortlos.

Du sollst wissen, dass bei uns im Haus ein neuer Mann eingezogen ist. In die Wohnung über mir. Diese Krachmacherfamilie mit den Schreikindern, die du so gehasst hast, ist endlich ausgezogen, und der Neue ist sehr still, doch hin und wieder kann ich ihn über den Fußboden gehen hören. Er geht umher, nachts. Leise. Aber lange.

Weiterlesen