Odd Klippenvåg ist einer der großartigen Schriftsteller*innen Norwegens, die auf der Frankfurter Buchmesse 2019 völlig unverständlicher Weise fehlen. Seine Bücher greifen Themen jenseits des Mainstream auf und sind sprachlich sehr fein komponiert.
Sein jüngst von Gabriele Haefs übersetzter Roman „Ein liebenswerter Mensch“ (Albino Verlag) beschreibt sehr berührend die Lebensläufe zweier Schulfreunde – der eine, Kjerand, ist im Heimatdorf geblieben und hat seine Homosexualität verleugnet, der andere, Birger, ist nach Oslo gezogen und lebt offen schwul. Sie begegnen sich wieder, als Kjerand mit sechzig erfährt, dass er Krebs hat, und nach Oslo zur Strahlentherapie muss. Er sucht Birger in seiner Kunstgalerie auf – und zwischen den beiden entspinnt sich eine ganz besondere späte Liebe.
Tilman Krause schreibt in seiner ausführlichen Rezension im Sissymag folgendes:
Odd Klippenvåg lässt hier zwei Schwule ein großes Abenteuer miteinander erleben, die Mitte sechzig sind. Das ist an sich schon bemerkenswert. Möglicherweise hat es mit einer gewissen Selbstverpflichtung zur Aufrichtigkeit zu tun, die auch aus den Büchern von Klippenvågs Landsmann Knausgard spricht, die ja viele Leser faszinierend finden. Und zur Aufrichtigkeit gehört auch, Geschichten aus dem „wahren Leben“ zu erzählen.
Ich hatte das Glück, Odd Klippenvåg einen Monat nach der Buchmesse persönlich kennenzulernen und ihn im Rahmen einer Lesung zu interviewen, denn er war der Gastautor der Skandinavischen Übersetzerwerkstadt am Nordkolleg in Rendsburg. Wir sprachen über seine Kindheit auf den Lofoten (er ist Jahrgang 1951), über den Skandal, den sein Roman „Otto, Otto“ 1983 in Norwegen auslöste, bei dem ein schwules Pärchen im Mittelpunkt steht, und warum es ihn ein bisschen nervt, wenn man sein schriftstellerisches Werk auf das Thema Homosexualität reduziert.
Unter der Leitung der bekannten Übersetzerin Christel Hildebrandt arbeiteten wir zu achtzehnt (!) an der Übersetzung seiner Kurzgeschichte „Skogen, tett og mørk“, 2016 erschienen in dem Buch „En enda større ensomhet“ (Eine noch größere Einsamkeit, erschienen bei Cappelen Damm). Es war für uns alle – die Übersetzer*innen wie auch den Autor – ein besonderes Erlebnis, gemeinsam über den Text zu diskutieren. Wir sind dabei auf eine Interpretation gekommen, die ihn selbst überrascht hat, die er jedoch durchaus bereit war mitzutragen, doch die Frage blieb offen: Ist der Ich-Erzähler nun pädophil oder nicht? Der Autor betont, beim Schreiben nicht in diese Richtung gedacht zu haben, obwohl es die LeserInnen zwischen den Zeilen förmlich anspringt. Doch was die Kurzgeschichte ausmacht, ist die bedrückende Erfahrung von Einsamkeit mitten unter Menschen. Für Odd Klippenvåg bedarf es einer thematischen Klammer, wenn er einen Sammlung von Kurzgeschichten veröffentlicht. Und so bin ich jetzt sehr neugierig auf die restlichen Kurzgeschichten dieses Buches und nehme es mir für 2020 vor – denn das kommende Jahr möchte ich voll und ganz dem Genre Kurzgeschichte (auf norwegisch: novelle) widmen.
Die persönliche Begegnung mit den Autor*innen, deren Texte ich übersetze, gehört schon jetzt zu den wirklich besonderen Momenten meines noch jungen Übersetzerinnenlebens!