Warum Nordlichter kein Reiseziel sind | Buchrezension

Kommentare 3

Brilliante Reiseliteratur von Geoff Dyer

Was zeichnet einen Reiseschriftsteller aus? Seit ich das neue Buch von Geoff Dyer gelesen habe, lautet meine Antwort: Die Fähigkeit, zwanzig Seiten lang überaus fesselnd von etwas zu erzählen, was auf einer Reise NICHT passiert ist.

Das ganze Drama eines gescheiterten Reiseplans entfaltet der britische Schriftsteller und Journalist  in seinem Essay „Northern Dark“, veröffentlicht in seinem im Mai 2016 (bislang nur auf englisch) erschienenen Buch „White Sands. Experiences from the outside World“:

Ein Paar fliegt im Januar für drei Tage von England nach Spitzbergen, um Nordlichter zu sehen. Doch es ist den beiden nicht vergönnt. Schlimmer noch: Sie scheitern ganz grundlegend an ihrer Reise, an der ungewohnten Kälte, an der durchgängigen Dunkelheit der Polarnacht und an dem Gefühl, irgendwie selbst schuld zu sein, dass sie keine Nordlichter sehen. Und so vermeiden die beiden die penetranten Nachfragen des Hotelpersonals, ob sie denn schon Polarlichter gesehen haben, indem sie das Hotelzimmer nach kurzer Zeit einfach gar nicht mehr verlassen.

Auf dem Rückflug kommt es dann zum großen Show Down: Der Zufall will es, dass die Passagiere auf der einen Seite des Fliegers in den Genuss von Nordlichtern kommen. Doch der Icherzähler und seine Freundin sitzen auf der „falschen“ Seite. In einet verzweifelten Überprungshandlung bricht er einen Streit vom Zaun, mit der Stewardess über die mangelnde Beinfreiheit. Sie versucht den sichtlich verzweifelten Mann zu besänftigen – es ist zugleich das Ende der Erzählung und es ist rührend:

„Without taking her eyes from mine she said that one day I would surely get the seat I deserved, and as she spoke, I believed that this would happen.“

Ich musste beim Lesen die ganze Zeit schmunzeln, weil ich mich so sehr an meine Wal-Safari* im Sommer auf den Vesterålen erinnert fühlte. Könnte ich es doch nur annähernd in so wunderbar Worte fassen, in welchem Verhältnis die drei Minuten, in denen wir einen Wal zu sehen bekamen, zur neunstündigen Bootstour (Wal-Safari!) stehen. Und wie tragisch der Moment war, als meine Freundin mir gestand, dass es für sie der „falsche“ Wal war, weil sie keinen Pottwal, sondern Orkas erwartet hatte. Zum Glück konnten wir schon am gleichen Abend herzhaft drüber lachen.

Und die Moral von der Geschicht? Beim Reisen geht es nicht darum, den besten Platz im Zuschauerraum zu ergattern. Wir alle wissen das und verhalten uns trotzdem manchmal so. Doch wer auf Reisen unglücklich wird, weil das Erwartete nicht eintritt, sollte besser gleich zu Hause bleiben. Und ein gutes** Buch lesen. Zum Beispiel „White Sands“ von Geoff Dyer. 😉

—–

* Wenn ich demnächst darüber blogge (allein schon, um die beiden einzigen, aber sehr tollen Fotos von „meinem“ Wal zu präsentieren), dann verlinke ich hier nachträglich.

** Wer noch nicht überzeugt ist, dass „White Sands“ von Geoff Dyer sehr lesenswert ist, lese bitte diese Rezension oder schaue sich diese Rede an.

KategorieBuchrezensionen (deutsch)

von

Literaturübersetzerin und Buchbloggerin mit Schwerpunkt Norwegen. Etter litteraturvitenskapelige studier og to tiår i PR-bransjen har jeg de siste årene også jobbet som oversetter og bokblogger med fokus på norsk litteratur. Dessuten er jeg frilans-redaktør på Olivia Forlag.

Kommentare 3

    • Danke Monika (oder Peter? 😉 ) für den Hinweis, das war mir gar nicht so bewusst und ich werde meiner Freundin erzählen, was für ein Glück wir hatten. 😉 Eure Walsafaris in Kanada scheinen sich ja auch sehr zu lohnen. Alles Gute und auf bald!

Schreibe einen Kommentar zu Tromsø im November - meine Pläne für die Wochen vor der Polarnacht Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


*