Autor: Dörte Giebel

Den ganzen November in Tromsø? Unbedingt, weil…

Den November (mindestens den November…) werde ich 344 Kilometer nördlich vom Polarkreis verbringen – und zwar in Tromsø. Warum? Es gibt soooo viele tolle Gründe, genau zu der Zeit an diesem Ort zu sein. Und zwar:

Det viktigste på norsk: Fra begynnelsen av November finner dere meg i Tromsø - med mange prosjekter: Jeg vill prøve urban sketching i mørketiden, feire verdens nordligste pridefestival, oppleve Kari Bremnes live at The Edge og treffe folk på strikkekafé i folkebiblioteket og andre steder som jeg må ennå finne ut... Har dere noen anbefalinger?

1. Urban Sketching im Alltag der Polarnacht

Von 6,5  Stunden Tageslicht auf Null in unter 28 Tagen – wow! Am 1. November geht die Sonne in Tromsø um 8.13 Uhr auf und um 14.43 Uhr unter. Das sind also immerhin noch 6,5 Stunden Tageslicht, doch dann geht alles ganz schnell: Zwei Wochen später sind es nur noch 4 Stunden und am 26. November geht die Sonne in Tromsø ein letztes Mal um 11.04 Uhr auf und um 11.57 Uhr unter – das nächste Mal dann erst wieder Mitte Januar… (Zum Vergleich: In Hamburg verringert sich die Spanne zwischen Sonnenauf- und -untergang im November gerade einmal um 1,5 Stunden – von 9,5 auf 8 Stunden).

Ich freue mich auf Slow Travel, aufs Verweilen und aufs Eintauchen in einen Prozess der allmählichen Verdunkelung – mal schaun, was das mit mir und vor allem mit meinen Urban-Sketching-Versuchen macht… Die Zeichnung unten ist noch von einem Foto inspiriert, im November geht’s dann mit dem Skizzenblock auf die Straße.

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Storgata in Tromsø (eigene Zeichnung nach einem Foto)

Ich bin gespannt, ob ich auf andere Urban Sketchers in Tromsø stoße. Die Community scheint sich dort so langsam zu finden, ein erstes Treffen fand wohl im Juni statt.

Und die Plarlichter? Ja, da sag ich nichtnein, wenn ich sie zu sehen bekommen, doch seit ich Geoff Dyer gelesen habe, bin ich mit solch flüchtigen Reosezielen vorsichtig geworden… 😉 Mich intereesiert viel mehr der Alltag der Polarnacht.

2. Das einwöchige Festival „Tromsø Arctic Pride“

Ist es denn zu fassen! Die TromsøerInnen feiern ihren Christopher Street Day im Winter! Und beanspruchen damit einen weiteren „Nordlichste-XY-der-Welt“-Rekord für sich.

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Pride Parade in Tromsø im November 2015

2015 hatte die Pride Parade in Tromsø Premiere (queer.de berichtete), die VeranstalterInnen zählten stolze 320 TeilnehmerInnen  (siehe Foto).

In diesem Jahr gibt es gleich eine ganze Woche lang Programm, und zwar vom 7. bis zum 13. November 2016. Und die Facebook-Seite hat jetzt schon über tausend Fans…

3. Kari Bremnes, Strikkekafé og mer

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Kari Bremnes singt (eigene Zeichnung)

Einmal habe ich Kari Bremnes in Hamburg bereits live erlebt. Als ich jetzt mit meiner Reiseplanung begann, konnte ich mein Glück kaum fassen, dass es für ihr Zusatzkonzert in Tromsø noch Karten gab. Die norwegische Sängerin ist auf den Lofoten geboren und groß geworden, ihre Herbsttour durch Nord-Norwegen ist also ein Heimspiel.

Außerdem freue mich darauf, in der Folkebiblioteket an den wöchentlichen Treffen im Strikkekafé (Strick-Café) teilzunehmen. Gemeinsam stricken und dabei von einem Kollegen der Bücherei etwas vorgelesen bekommen – welch wunderbare Idee, um eine Stadtbibliothek als sozialen Treffpunkt zu nutzen! Als leidenschaftliche Sockenstrickerin bin ich sehr gespannt darauf, auf diese Weise Anschluss in einer fremden Stadt zu bekommen.

Und ich hoffe, dass die Folkekjøkken in der Zeit, in der ich vor Ort bin, ein öffentliches Essen aus geretteten Lebensmitteln zubereitet. Außerdem bin ich gespannt, wie sich die weitere Nutzung des seit kurzem leerstehenden Bykiosk im Viertel Skansen entwickelt. (Mit der Bymisjion stehe ich im E-Mailkontakt, ob nicht ein öffentlicher Bücherschrank mit Bookcrossing-Zone oder gar ein kleiner Umsonst-Laden dort Einzug halten könnte.)

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Habt Ihr noch  Tipps für meinen November in Tromsø? Ich ergänze die gern auf meiner Liste. Und natürlich gibt es dann hier im Blog ab Anfang November auch eine Live-Berichterstattung aus der nördlichsten Stadt der Welt.

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Hammerfest – zwei Tage im Juni

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Einfach da sitzen und der nördlichsten Stadt der Welt dabei zusehen, wie sie aufwacht. Schon um 5:30 Uhr bin ich von Bord gegangen, jetzt, eine Stunde später, ist „mein“ Hurtigruten-Schiff längst unterwegs Richtung Nordkapp. Ich bleibe auf 70° 49° 38° mit einem Pott Kaffee sitzen und zelebriere die langsamste Form des Reisens: Ich bewege mich kaum und lasse Hammerfest einfach mal auf mich zukommen.

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Frühstück im „Du Verden“ mit Blick auf die Hafenbucht und auf sechs Männer in schwerer gelber Schutzkleidung mit dem Aufdruck „TILLER VIMEK – rett og slett industrigulv“. Sie verdrücken große Mengen belegter Brote. Ab und an gähnen sie und strecken sich ein wenig, in Erwartung eines etwas ungemütlichen Arbeitstages. Es regnet, es windet („laber bris“), die 6 Grad fühlen sich für mich an wie Minusgrade. Hammerfest im Juni.

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Die Tageszeitung „Aftenposten“, die ich gern lese, scheint hier oben noch nicht angekommen zu sein. Macht nichts, heute ist die Vergangenheit für mich sowieso viel spannender: das Gjenreisningmuseum (Wiederaufbaumuseum). Eine Führung durch dieses Museum ließe sich doch sicherlich in das Hurtigruten-Programm integrieren – mindestens als Schlecht-Wetter-Alternative, für deutsche Touristen vielleicht als Pflichtprogramm? Hammerfest wurde Ende des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen ausgelöscht, zwangsevakuiert und bis auf den letzten Mauerstein niedergebrannt. Die Stadt war quasi weg – doch die Menschen wollten zurück in ihre Heimat, sie kamen wieder und bauten ihre Stadt wieder auf. Ich gehe still durch das Museum, lausche den Stimmen und Geräuschen der berührenden Installation, bleibe am Ende vor einer Fotowand stehen, die verschiedene Städte der Welt vor, während und nach einem Krieg zeigt: kein Unterschied zwischen Hammerfest und Dresden und Damaskus. Krieg ist Krieg.

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Das Wetter hat sich beruhigt und ich brauche jetzt Bewegung. Der Hausberg Salen lockt mich an. Der „gammle veien“ führt sanft hinauf und dann einmal drum herum, ein Rundweg von knapp vier Kilometern. Am Ende gehts den Zickzackweg steil runter in die Stadt – alles einfach und sicher zu gehen. Auf der Südseite des Berges wächst ein kleines Fjellbirken-Wäldchen – das einzige in Hammerfest, denn die Baumgrenze ist hier oben nicht weit- Hier am Südhang ist es windstill und warm, hier laden Bänke zum Verweilen ein.

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Später kommt mir eine Frau entgegen und fragt, ob ich norwegisch spreche, und ich sage ja und hoffe, dass ich sie verstehe. Sie amüsiert sich, weil ich ihr in der tief stehenden Sonne als Schattenriss erschienen bin, mit einem Kreuz auf dem Rücken pilgernd – die Wegweiser an einer Abzweigung weiter oben hatten sich mit mir verschmolzen. Ihre Wahrnehmung berührt mich, denn ich fühle mich ja ein wenig wie auf einer Pilgerreise, mit viel zu viel Gepäck im Herzen.

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Ich möchte gern noch mehr von Hammerfest sehen und entscheide mich für meine Lieblingsvariante des Sightseeings in fremden Städten: Linienbusfahren. Es gibt erstaunlich viele Buslinien in Hammerfest, zwei führen ins Umland. Ein Bus fährt ein paar Kilometer durchs „Hinterland“ nach Norden bis Torsøv und zurück, vorbei am Flughafen (mit einer der kürzesten für den Linienflugverkehr zugelassenen Landebahnen: 880 Meter!) und durch eine karge Berglandschaft, die irgendwie nur aus Geröll zu bestehen scheint – so sieht es am Ende der Welt aus, denke ich… und ich mag es.

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Der andere Bus fährt die Küstenstraße runter bis Kvalsund und zurück. Beide im Stundentakt. Nicht aufeinander abgestimmt. Das überrascht mich nur so lange, bis ich versuche, eine Haltestelle für den Bus nach Süden zu finden. Es gibt Bushaltestellen ohne Aushänge. Und liegt ein gedruckter Fahrplan in der Turist Info aus, mit Angaben zu den Haltestellen, die allerdings selbst von den MitarbeiterInnen der Turist Info nicht richtig interpretiert werden können. „Der fährt halt stündlich.“ (Ach, und wann genau?) „Am besten stellst Du Dich an die Haltestelle vorm Rathaus.“ (Die steht aber für diese Linie nicht auf dem Plan!) Ich stelle mich versuchsweise sehr rechtzeitig an eine andere Haltestelle, eine, die auf dem Plan steht. Es kommen verschiedene Busse mit anderen Nummern. Ich frage einen Busfahrer, später noch einen zweiten. Niemand kann mir sagen, wo genau der Bus nach Kvalsund abfährt. Ist ja irgendwie auch nicht so wichtig, bleibe ich jetzt halt in Hammerfest.

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In der Folkebiblioteket komme ich schließlich lesend zur Ruhe. Die Norweger verstehen es, in all ihren Hafenstädtchen angenehme Plätze zum Verweilen und Lesen bereit zu stellen. Und die Regale mit den aussortierten Büchern für 10 Kronen pro Exemplar finde ich auf meiner Reise in fast jeder Bücherei – auch hier wieder eine wahre Fundgrube für mich (genau so das Büchertauschregal im Eingangsbereich des Gjenreisningsmuseum).

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… nach etwas mehr als 48 Stunden kommt „mein“ Schiff zurück – von Tagen und Nächten kann ja keine Rede sein, denn hier geht vom 16. Mai bis 27. Juli die Sonne nicht unter. Während ich Hammerfest erkundet habe, ist die MS Finnmarken ums Nordkapp gefahren und hat in Kirkenes kehrt gemacht. Ich fahre wieder gen Süden. Mit Hammerfest im Herzen.

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Hammerfest bei Nacht – im Juni
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Hammerfest bei Tag – im Juni

PS: Ich habe vieles, was Hammerfest zu bieten hat, nicht gesehen und nicht erkundet. Hier ein paar Knoten ins Taschentuch fürs nächste Mal:

  • Auf allen drei Inseln, die zu Hammerfest gehören, wandern
  • Mit der Fähre Bygderuta zu den Insel-Siedlungen Hammerfests schippern, die nur mit Boot zu erreichen sind
  • Mitglied im Eisbärenklub werden =201
  • Verstehen, was es mit dem Meridianbogen auf sich hat